Paris nach Turin: Im Nachtzug den Weg genießen

Zwischen Paris und Turin verkehren mehrmals täglich Hochgeschwindigkeitszüge. Doch wer sich etwas Zeit nimmt, hat mehr von der Strecke.

Auch spät am Abend ist der Gare de Lyon noch voller Leben. Das ist an diesem regnerischen Wintertag in Paris nicht anders. In der Wartezone drängen sich Menschen, die den letzten TGV nach Strasbourg, Milano oder Zürich erwischen wollen. Im Minutentakt rollen neue Züge aus dem Südosten des Landes, Deutschland, Italien und der Schweiz heran.

Ganz anders ist das Bild, das sich mir am Bahnhof Paris-Austerlitz bietet. Ich erreiche den sechstgrößten der Pariser Kopfbahnhöfe nach einem kurzen Spaziergang über die Seine. Hektik und Gedränge sind hier Fehlanzeige, auch Züge verlassen den «Gare d’Austerlitz» um diese Zeit kaum noch.

In der hintersten Ecke des Bahnhofs, auf Gleis 3, wird ein Zug bereitgestellt, der zu dieser Atmosphäre passt.

Er ist nicht modern, schnell und ein Symbol des Fortschritts wie der TGV, sondern eher alt, langsam und Erbe einer vergangenen Zeit. Es war die französische «Companie International des Wagons-Lits», kurz CIWL, die im 19. Jarhundert den Nachtzug nach Europa brachte. Ausgehend von Paris verbanden die Schlafwagen der CIWL ganz Europa, Namen wie «Orient-Express» und «Train Bleu» klingen bis heute nach Luxus und Abenteuer.

Ein langer Weg zurück

Mit dem zweiten Weltkrieg kam das Ende der CIWL und das Nachtzuggeschäft wurde von Europas Staatsbahnen übernommen. So betrieb auch die französische SNCF Nachtzüge in alle Ecken des Landes und über die Grenzen hinaus. In den 1980er Jahren begann jedoch der Niedergang – der Nachtzug kam sprichwörtlich unter die Räder des Hochgeschwindigkeitsverkehrs, der mit dem TGV in Frankreich seinen Anfang nahm.

Aber immerhin: Eine Handvoll Nachtzug-Linien hat überlebt, als «Intercités de Nuit» werden sie von der SNCF mittlerweile wieder mit mehr Hingabe betrieben. Und auch die Politik ist aufgewacht. In den kommenden Jahren soll Frankreichs Nachtzugnetz wieder stark wachsen, bis 2030 wird ein hoher dreistelliger Millionenbetrag in neue Schlaf- und Liegewagen investiert.

Nachtzug Bahnhof Paris Austerlitz
Wenn es Abend wird am Pariser Gare d’Austerlitz, schlägt die Stunde der Nachtzüge

Bis des so weit ist, verbinden Frankreichs Intercités de Nuit nicht Metropolen, sondern Paris mit kleinen Ferienorten in Grenznähe im Süden. Klassische Nachtzüge mit Kurswagen und Lokwechsel – im Land der Hochgeschwindigkeit und Triebzüge wirkt das fast wie ein Wunder.

Und doch ist der Zug, der vor mir steht, Realität.

In elfeinhalb Stunden Fahrt verbindet er die Hauptstadt mit Briançon in den südlichen französischen Alpen. In der Nähe von mehreren Skigebieten gelegen, zieht die Kleinstadt besonders im Winter viele Gäste an. Nahe der Grenze zu Italien bietet sich jedoch auch die Weiterfahrt nach Turin an.

Nachtzug nach Briançon

Von Paris nach Turin verkehren täglich drei TGVs, seit Dezember 2021 schickt die italienische Trenitalia außerdem ihren Frecciarossa auf die Strecke. Die Fahrt in den modernen Hochgeschwindigkeitszügen dauert kaum sechs Stunden. Wer aber Zeit hat und gern abseits der ausgetretenen Pfade unterwegs ist, dem empfiehlt sich die Route via Briançon.

Der Nachtzug nach Briançon verlässt den Bahnhof Austerlitz um 20:52 Uhr und erreicht die Alpenstadt um 8:22 Uhr am nächsten Morgen. Zur Auswahl stehen drei Wagenklassen: Großraumwagen 2. Klasse mit Liegesesseln, Liegewagen 2. Klasse mit sechs Personen pro Abteil und Liegewagen 1. Klasse mit vier Personen pro Abteil. Zu meinem Interrail-Pass habe ich mir für rund 25 Euro eine Liege im Sechserabteil reserviert.

Ticket und Reservation werden am Bahnsteigeingang kontrolliert. Man erklärt mir, wo ich meinen Wagen finde, und wünscht mir eine gute Nacht.

Intercités des Nuit Briançon Zuglaufschild
Die Nachtzüge in Frankreich sind unter dem Namen «Intercités de Nuit» unterwegs. Neben Briançon verkehren sie auch an die Côte d’Azur (Nizza) sowie ins Pyrenäenvorland (u. a. Toulouse, Lourdes, Latour-de-Carol)
Intercités des Nuit Liegewagen Gang
Die Liegewagen sind schon etwas in die Jahre bekommen, werden zur Zeit aber umfangreich modernisiert
Intercités des Nuit Liegewagen Abteil
Im Sechser-Abteil gilt es sich den Platz gut einzuteilen

Die älteren Wagen sind gut sichtbar nummeriert und so finde ich meinen Platz problemlos. Der Zug ist ausgebucht und entsprechend viele Menschen tummeln sich auf dem Gang und suchen ihr Abteil. Anders als zum Beispiel im Nachtzug in Finnland ist es in den Intercités de Nuit eng. Da alle aufeinander Rücksicht nehmen, kommt man aber aneinander vorbei.

Wie immer habe ich mir einen unteren Platz im Liegewagen gesichert. Diese sind am einfachsten zu erreichen und man kann sein Gepäck ohne die Mitreisenden zu stören unter der Liege verstauen. Ein warmer Schlafsack und ein Kissen, sowie eine kleine Kühltasche mit Wasser, Ohrenstöpsel und Papiertüchern werden von der SNCF gestellt und erwarten mich schon.

Ich richte mich gemütlich ein.

Da die Wagen wie erwähnt nicht die neusten sind (zur Zeit läuft ein Modernisierungsprogramm), gibt es im Abteil keine Steckdosen. Ich lade mein Handy bis zum Schlafengehen im Gang. Dort kann man auch die Fahrt durch Paris und das Umland genießen und bei Wunsch ein Fenster öffnen.

Das Rattern der Räder und das Schaukeln des Wagens wiegen mich schnell in den Schlaf. Als ich aufwache, ist es draußen hell. Wir sind kurz vor Gap, es liegt Schnee und die Berge ziehen vor dem Fenster vorbei. In den letzten eineinhalb Stunden leert sich das Abteil und der Zug langsam.

Nachtzugfahrt nach Briançon
In Frankreich noch möglich: Nachtzugfahrt am offenen Fenster
Nachtzugfahrt nach Briançon
Je tiefer wir in die Alpen eintauchen, desto winterlicher wird es

Als ich aufwache, ist es draußen hell. Es liegt Schnee und die Berge ziehen vor dem Fenster vorbei.

Nachtzugfahrt nach Briançon
Der Zauber des Nachtzugs: Man schläft in der Großstadt ein und wacht in einer völlig neuen Welt wieder auf. Kurz vor Briançon hat die die Landschaft endgültig in ein Winterwunderland verwandelt.

Der Zug wird jetzt von zwei Dieselloks gezogen und schlängelt sich langsam durchs verschneite Bergtal. Wir halten in kleinen Städtchen und Dörfern, sehen die Berggipfel über und den Stausee Lac de Serre-Ponçon im Tal unter uns. Wer mag, kann bem Zugbegleiter Kaffee kaufen, doch ich frühstücke lieber bei meinem Aufenthalt in Briançon.

Wir erreichen Frankreichs höchstgelegende Stadt mit 13 Minuten Verspätung. Die malerische Altstadt und die Festung aus dem 18. Jahrhundert laden zum Verweilen ein, doch für mich ist Briançon heute nur Zwischenstopp. Ein Schild lockt mich ins Bahnhofsbistro. Dort geniesse ich Cappuccino und Pain au Chocolat bis der Bus ins italienische Oulx kommt.

Bahnhof Briançon
Angekommen: Der winterliche Bahnhof von Briançon, der höchstgelegenen Stadt Frankreichs

Über die Alpen nach Turin

Die rund einstündige Fahrt über die Alpen vergeht wie im Flug, denn die Aussicht ist fantastisch. Die Passstraße schlängelt sich den Berg hinauf und bietet sowohl im Sommer als auch im Winter wunderbare Sicht auf das Tal. Der Pass ist schon lange ein wichtiger Weg nach Italien, mehrere Festungen und Burgen zeugen von der Geschichte dieser Region.

Die wenigen Ortschaften, die der Bus durchfährt bestehen aus alten Steinhäusern und engen Strassen. Im Skigebiet Montgenévre legt der Bus einen kurzen Zwischenhalt ein. Im Winter herrscht hier reges Treiben, im Sommer ist es ein ruhiger Ferienort fernab der grossen Menschenströme.

Bus Briançon Oulx
Von Briançon geht es mit dem Bus weiter ins italienische Oulx
Bus Briançon Oulx
Perfekte Wintersport-Bedingungen rund um Briançon
Busfahrt Briançon Oulx Aussicht
Die Passstraße auf den Weg nach Italien bietet spektakuläre Ausblicke. Es handelt sich um die niedrigste Hauptverbindung über den Alpenhauptkamm von Frankreich nach Italien

Die Grenzüberquerung kurz nach der Ortsausfahrt bemerke ich nicht. Kaum in Italien erreichen wir die Passhöhe, von der wir uns ins Tal von Oulx hinunter schrauben. Wir lassen die Olympiapisten von San Sicario rechts liegen und erreichen unser Ziel. Der Bus hält direkt an der Bahnstation, die den etwas umständlichen Namen «Oulx-Cesana-Claviere-Sestriere» trägt.

Der Bahnhof liegt an der Strecke Lyon–Turin, die auch der TGV entlangfährt. In Oulx hält dieser allerdings nur zum Aussteigen, darum nehme ich den gemütlicheren Regionalzug nach Torino Porta Nouva. In der gut einstündigen Fahrt genieße ich ein letztes Mal die Sicht auf die Berge, bevor der Zug in den Vororten von Turin die Po-Ebene erreicht.

Angekommen am größten der Turiner Bahnhöfe, tauche ich ein in die vertraute italienische Bahnhofsstimmung.

Regionalzug Oulx Turin
Mit einem italienischen Regionalzug geht es von Oulx nach Turin
Bahnhof Torino Porto Nuova
Wir erreichen den Bahnhof Torino Porta Nuova

Hier endet dieser Bericht, auch wenn es für mich noch weitergeht: mit dem Frecciarossa nach Rom.

Genauso gerne würde ich in den Nachtzug nach Reggio di Calabria steigen. Dieser verlässt Turin bereits am Mittag, rund eine Stunde nach meiner Ankunft, um dann Italien in seiner vollen Länge zu durchfahren. Oder in den Zug nach Milano, Venedig, Florenz, Neapel, …

Auch wenn meine Route fast dreimal so lange gedauert hat, als wäre ich in Paris in den TGV gestiegen – ich bereue keine Sekunde. Denn manchmal gilt so einfach wie abgedroschen:

Der Weg ist das Ziel.

Infos kompakt

Strecke

Paris-Austerlitz – Briançon – Oulx – Torino Porta Nuova

Fahrzeit

Die Gesamtfahrtzeit von Paris nach Turin mit Nachtzug, Bus und Regionalzug betrug etwa 15,5 Stunden.

Tickets

Die Fahrt erfolgte mit einem Interrail-Ticket. Die Reservierung für den Liegewagen kostete zusätzlich 25 Euro am SNCF-Schalter, das Ticket für den Bus nach Oulx gab es für 9 Euro beim Fahrer.

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