Seit ich auf der Welt bin, fährt meine Familie in den Salento in den Urlaub. Hier, im südlichsten Teil des italienischen Absatzes, haben wir viele Freundinnen und Freunde und kennen jede Ecke. Lange Zeit sind wir alle zusammen mit dem Zug gefahren. Mit dem Cisalpino ging es über den Gotthard, in Mailand stiegen wir dann in den Treno Notte um. Nachtzug bedeutete deshalb lange für mich: Wir fahren nach Italien!
Doch die Familie wurde größer, und eines Tages beschlossen meine Eltern, die Reise fortan mit dem Auto zu machen. Grummelnd fuhr ich mit. Aber schon ein Jahr später war es so weit: Mit 16 durfte ich zum ersten Mal alleine mit dem Nachtzug fahren. Seitdem bin ich die Strecke viele weitere Male gefahren. Im letzten Sommer wollte ich aber etwas anderes probieren. Mit meinen beiden Schwestern fasste ich den Plan, die knapp 1.000 Kilometer von Mailand nach Lecce auch einmal bei Tageslicht zurücklegen – mit der Frecciabianca, dem weißen Pfeil der italienischen Bahn. Zurück sollte es dann wieder ganz klassisch mit dem Nachtzug gehen. Ob das geklappt hat, erfährst du in diesem Bericht.
Auf nach Italien
Die Reise beginnt an einem Julimorgen in unserem Wohnort, einem kleinen Dorf bei Basel. Wie immer stoßen wir mit Sanbitter auf den Beginn der Fahrt an, doch das richtige Reisegefühl kommt noch nicht so recht auf. Das ändert sich, als wir in Zürich auf den Eurocity nach Venedig umstiegen. Die beiden SBB-Flitzer des Typs „Astoro“ sollen uns nach Milano Centrale bringen.
Auch wenn die Neigezüge ziemlich eng und oft überfüllt sind: für uns bedeuten sie, dass es nun endlich losgeht. Trotz kleinerer Zwischenfälle – eine Schnellbremsung und ein medizinischer Notfall, der aber durch fünf zufällig anwesende Ärzte schnell versorgt werden konnte – treffen wir pünktlich in Mailand ein. Am Bahnhof herrscht wie immer ein großes Gewusel. Wir nutzen die Stunde Aufenthalt, um Essen zu kaufen. Eine gute Gelegenheit, mein Italienisch zu entstauben.
Im weißen Pfeil
Bald darauf steht die Frecciabianca nach Lecce bereit und wir suchen unsere Plätze. Auch dieser Zug ist sehr voll und der Platz in den ehemaligen InterCity-Wagen eher knapp bemessen. Neben den Frecciargento und den Frecciarossa ist die Freccabianca der günstigste der Hochgeschwindigkeitszüge der Trenitalia. Dies macht sich vorallem an den knappen Platzverhältnissen, aber auch an der Geschwindigkeit und dem Alter der Wagen bemerkbar.
Die ersten drei der etwas über neun Stunden Fahrt in den Salento bin ich zwischen dem leider total verdreckten Fenster und einem schlafenden Mann eingequetscht, dann mache ich mich auf in das Bordbistro.
Das Angebot im Bistro ist klein und für italienische Verhältnisse eher teuer. Dafür erlebte ich bei all meinen bisherigen Besuchen eine sehr freundliche Bedienung, so auch heute. Ich verzichte auf Sandwich und Mikrowellen-Essen und entscheide ich mich für Cappuccino. Auch meine Schwestern freuen sich über den guten Kaffee. Die nächsten Stunden vertreiben wir uns mit Spielen, Schlafen und Musikhören. Auch wenn die Frecciabianca nicht das Paradepferd der Trenitalia ist, vergeht die Zeit wie im Flug.
Traumstrecke an der Adria
Ab Rimini beginnt der schönste Abschnitt der Fahrt. Für einige hunderte Kilometer führt die Strecke direkt an der Adriaküste entlang. Häufig ist es nur der Strand, der das Gleis vom Wasser trennt. Je weiter wir in den Süden kommen, desto leerer wird der Zug. In Termoli stiegt dann auch mein Sitznachbar aus, und wir haben die letzten drei Stunden den Wagen fast für uns alleine. Wir genießen den Sonnenuntergang, die italienische Landschaft, den zweiten Kaffee und die mitgebrachte Wassermelone.
Mit 25 Minuten Verspätung erreichen wir um kurz nach 23 Uhr schließlich Lecce. Durch das vertraute Gewusel am grössten Bahnhof der Region suchen wir uns unseren Weg zum Parkplatz. Da um diese Zeit keine Busse und Züge mehr weiter in den Süden fahren, holt uns unsere Mutter ab. 14 Stunden auf Schienen liegen hinter uns – umso mehr freuen wir uns da über die mitgebrachten Bratkartoffeln, die wir auf der knapp einstündigen Autofahrt glücklich verzehren.
Salento-Express FSE
Nach einer entspannten Woche mit vielen Ausflügen und täglichen Bädern im Mittelmeer packen wir wieder die Koffer. Wir nehmen Abschied von Familie und Freunden und lassen uns nach Tricase fahren. Diesmal wollen wir die Fahrt nach Lecce mit dem Zug machen, und zwar mit der Ferrovie del Sud Est, kurz FSE. Als Teil der italienischen Staatsbahn wickelt die FSE seit 1931 den Eisenbahnverkehr im Salento ab. Ihr Netz erstreckt sich von Bari über Taranto und Lecce bis nach Gagliano, dem südlichsten Zipfel im „Stiefelabsatz“.
Wie immer ist die knapp zweistündige Reise ein Erlebnis. Jedes Mal, wenn ich mit der FSE fahre, fühle ich mich in der Zeit zurückversetzt. Die Dieseltriebwagen haben Fenster zum Öffnen, die Ledersitze sind bequem und die Zugbegleiter überaus freundlich. Man ruckelt gemächlich durch die Landschaft, denn in Italien darf auf Strecken ohne technische Zugsicherung nicht schneller als 50 Kilometer in der Stunde gefahren werden. Manchmal hält der Zug aber auch einfach auf freier Strecke und man hört den Lokführer durchs Fenster mit einem Bekannten reden.
Nachtzug-Paradies Lecce
Für Freunde der nächtlichen Zugreise ist Lecce ein guter Ort. Von hier fahren jeden Abend drei Nachtzüge in Richtung Norden: einmal nach Turin und sogar zweimal nach Mailand. Am Wochende gibt es zusätzlich eine Verbindung nach Rom. Auch wenn wir wieder über Mailand nach Hause fahren wollen, haben wir diesmal den InterCity Notte in Richtung Turin gebucht, und zwar bis Voghera. Zum einen hatten wir so die angenehmeren Umsteigezeiten; zum anderen würde ich meinem Ziel, alle Nachtzüge Europas abzufahren, wieder einen Schritt näher kommen.
Eine halbe Stunde vor Abfahrt wird unser Zug bereitgestellt. Am Schlafwagen empfängt uns der Schaffner und zeigt uns den Weg zu unserem Dreierabteil. Wie die meisten Schlafwagen von Trenitalia stammt auch unser Modell aus den 1970er-Jahren und wurde 2006 renoviert. Auch wenn man den Abteilen ihr Alter ansieht, funktioniert fast alles tadellos. Pro Wagen gibt es zwölf Abteile mit je drei Betten, die alleine, zu zweit und zu dritt gebucht werden können. Nebeinanderliegende Abteile lassen sich jeweils zu einem grossen Abteil verbinden – perfekt für Familien mit mehreren Kindern.
Treno Notte
Erfreut stelle ich fest, dass Trenitalia das Angebot in den Abteilen erweitert hat. Nachdem der Service im Schlafwagen jahrelang abgenommen hatte, gibt es nun wieder Trinkwasser, Handtücher und ein Geschenkset mit mehr oder weniger nützlichem Inhalt: Rasierer, Rasierschaum, Seife, Duschgel, Nähzeug, Zahnbürste, Zahnpasta und eine Schlafmaske. Das Waschbecken im Abteil, sowie die Lüftung und alle Lichter funktionierten tadellos. Allein Spiegel und Fenster hätten mal wieder eine Reinigung vertragen können.
Schon fährt der Zug los. Bald darauf klopft der Schaffner mit seinem Azubi an der Tür und verlangt nach unseren Tickets und Identitätskarten. Letztere gibt er uns nach der Kontrolle zurück, erstere behält er über Nacht. Wir vereinbaren noch die Weckzeit, dann beginnt der gemütlich Teil der Fahrt. Bei bester italienischer Pizza (am Bahnhof gekauft; einen Speisewagen gibt es leider in den Nachtzügen nicht mehr) schauen wir einen Film. Passend zum Reisemittel ist es Mord im Orient Express.
Buongiorno Milano
Nach einer erholsamen Nacht klopft es um kurz nach sieben. Es ist der Zugbegleiter: „Buongiorno, prossima fermata: Voghera!“ Wir bekommen unsere Tickets zurück, dazu je einen Birnensaft und ein abgepacktes Croissant mit Aprikosenfüllung – kein Vergleich zum ÖBB-Nightjet, wo man am Abend aus einem regelrechten Buffet wählen kann, aber besser als nichts. Weil meine Schwestern lieber noch etwas schlafen, frühstücke ich alleine und schaue mir die vorbeiziehende Po-Ebene an.
Wir schaffen es gerade noch, alles zusammen zu packen, da bremst der Zug auch schon überpünktlich in Voghera ab. Wir hieven unsere Koffer auf den Bahnsteig, der Schaffner verabschiedet sich winkend. Verloren stehen wir an Gleis 1 und reiben uns den Schlaf aus den Augen. Die Rettung findet sich gegenüber des Bahnhofs: frischer, italienischer Kaffee.
Der nächste Pendlerzug bringt uns nach Mailand. Durch endlose Mais-, Reis- und Weizenfelder geht es in Richtung Metropole, wo sich die Schienenstränge bald zu sieben parallellaufende Gleisen verdichten. Nach dem zweiten Kaffee und einem improvisierten Mittagessen geht es ohne Zwischenfälle zurück in die Schweiz. Dort empfängt uns eine Hitze, die uns schon bald vom nächsten Urlaub in Süditalien träumen lässt – natürlich mit dem Zug!
Infos kompakt
- Ab Basel, Zürich und Genf fahren täglich 17 direkte EuroCitys nach Mailand, einer davon bereits ab Frankfurt am Main (EC/ECE 151, Abfahrt 8:05 ab Frankfurt (Main) Hbf, Ankunft 15:55 am Bahnhof Milano Porta Garibaldi). Tickets gibt es online auf bahn.de, sbb.ch und trenitalia.com
- Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2021 verkehren zwischen Mailand und Lecce nur noch die Frecciarossa, die Paradezüge der Trenitalia und keine Frecciabianca mehr. Es gibt fünf direkte Tagverbindungen und zwei direkte Nachtzüge, sowie diverse weiter Umsteigeverbindungen.
- Die Nachtzüge der Trenitalia (InterCity Notte) führen Sitz-, Liege- und Schlafwagen. Die Preise reichen von 28 Euro für einen Sitzplatz bis zu 225 Euro für ein eigenes Schlafwagenabteil. Mehr Infos findest du in unserem Nachtzug-Guide Italien
- Auf den Strecken der FSE kann man echte süditalienische Bahnromantik erleben. Infos und Fahrpläne unter fseonline.it und trenitalia.com
2 Kommentare
Vielen Danke fur solch win interressante Erzahlung!
Vielen Dank für den lesenswerten Bericht!