Die Tage vor Weihnachten sind eine gute Reisezeit. Wenn Stress und Hektik ihrem Höhepunkt entgegensteuern, jeder noch tausend Dinge zu erledigen, aber keiner Zeit hat, gehe ich gern auf Entdeckungstour. Im letzten Jahr verschlug es mich in die Grenzregion zwischen Polen, Tschechien und Deutschland.
Hier, rund um das Riesengebirge, bestand die vage Hoffnung auf ein bisschen Schnee. An den Fuß der Berge brachte mich der polnische Nachtzug, weiter ging es im Regionalverkehr. Besonderes Highlight der Fahrt: die romantische Zackenbahn. Ob mich dort das erhoffte Winterwunderland erwartete und warum es in Liberec Karpfen statt Krapfen gab, erfährst du im folgenden Bericht.
Kaltstart in Warschau
Die raue Kälte des Ostens schlägt mir entgegen, als sich die Tür des Berlin-Warszawa-Express öffnet. Es ist drei Tage vor Heiligabend und gelandet bin ich am Warschauer Bahnhof mit dem für westliche Zungen kaum unfallfrei auszusprechenden Namen: Warszawa Wschodnia.
Wie es sich gehört habe ich einen großen Teil der Fahrt im Speisewagen zugebracht. Die Folge: In meinem Magen stapeln sich Żurek, Piroggen und Amber-Bier. Da kommt es mir ganz gelegen, dass bis zu der Abfahrt des Nachtzuges in das Riesengebirge noch etwas Zeit ist. Die nutze ich für einen kleinen Spaziergang durch den menschenleeren Bahnhof.
Traumhafte Reise
Eine halbe Stunde vor Abfahrt wird der Zug bereitgestellt. Mein Schlafwagen nach Szklarska Poręba ist als letzter eingereiht. Vor der Tür hält der Schaffner in seiner roten Uniform einsam Wache. Ein wenig tut er mir leid, wie er da in der Kälte herumsteht. Beim dzień dobry gebe ich mir daher besondere Mühe. Als einziger Gast drücke ich ihm die Fahrkarte in die Hand und erhalte Zutritt ins rollende Heim.
Ich mache es mir in meinem Einzelabteil gemütlich. Das Bett ist frisch bezogen, das Waschbecken funktioniert, das Fester lässt sich öffnen – einer traumhaften Reise im Nachtzug steht nichts im Wege. Vor mir liegen knapp zwölf Stunden Zugfahrt, von denen ich die ersten Minuten am offenen Fenster genieße.
Wir überqueren die Weichsel, ehe wir in Warschaus unterirdischen Hauptbahnhof einfahren. Wie das Getrappel auf dem Gang verrät, steigen doch noch einige Reisende hinzu. Die allgemeine Unruhe legt sich jedoch bald. Kaum ist der Abfahrtspfiff am letzten der drei großen Warschauer Bahnhöfe – Warszawa Zachodnia – ertönt, fallen mir die Augen zu.
Im Hirschberger Tal
Als ich am nächsten Morgen erwache, haben wir Breslau schon hinter uns gelassen. Wir sind nun der erste von insgesamt zehn Wagen. Mitten in der Nacht wurde unser Zug mit einem anderen aus Gdynia vereinigt. Der Blick aus dem Fenster verspricht einen sonnigen Wintertag.
Wir passieren die ehemalige Bergbaustadt Wałbrzych und tauchen ein in die liebliche Gegend um Jelenia Góra (deutsch Hirschberg). Das Hirschberger Tal ist nicht nur Tor zum Riesengebirge, sondern auch eine reiche Kulturlandschaft mit Dutzenden Burgen, Schlössern und Ruinen. In Jelenia Góra selbst haben wir einen längeren Aufenthalt zum Rangieren. Die Wagen aus Gdynia werden hier abgekuppelt.
Der Bahnhof wird gerade umfangreich saniert, so mischt sich Baulärm unter die Wortschlangen der Durchsagen. Hellhörig werde ich, als plötzlich eine Ansage auf Deutsch ertönt. Grund ist wohl die direkte Zugverbindung zwischen Jelenia Góra und Görlitz, die seit 2015 wieder besteht. Ich nutze die Wartezeit für die Körperhygiene. Nur das Klo kann ich nicht benutzen – aufgrund der etwas antiquierten Spültechnik („Plumpsklo“) ist es in Bahnhöfen versperrt.
Enge Kurven auf der Zackenbahn
Nach gut einer halben Stunde geht es weiter. Auf vier Wagen geschrumpft biegen wir auf den schönsten Teil der Strecke ein: die Bahnstrecke Jelenia Góra–Kořenov, besser bekannt als Zackenbahn. Auf den folgenden 30 km werden wir etwa 350 Meter an Höhe gewinnen. Dabei folgen wir grob dem Verlauf der Kamienna – zu Deutsch Zacken –, die der Strecke ihren Namen gab.
Erbaut wurde die Zackenbahn zur Jahrhundertwende. Die schwierige Topographie rang den Ingenieuren einiges ab. Nicht ohne Stolz wurden einige der Kunstbauten – Tunnel, Felseinschnitte, sowie der „höchste Signalmast Deutschlands“ – sogar zum Postkartenmotiv. Zudem war die Zackenbahn eine der ersten Strecken, auf denen elektrische Lokomotiven unterwegs waren.
Heute ist sie eine der wenigen Gebirgsbahnen in Polen. Es knarzt und quietscht als wir uns durch die Kurven zwängen. Das Gras am Gleis ist noch weiß vom Nachtfrost, Nebelschwaden wabern durch das Tal. All das erlebe ich am offenen Fenster, mit einem Kaffee in der Hand. Es sind Momente wie diese, die eine Fahrt im Nachtzug unvergesslich machen.
Endstation für polnische Züge
Wir erreichen die Stadtgrenze von Szklarska Poręba. Bis Kriegsende hieß der Ort noch Schreiberhau. Ob es Gerhart Hauptmann deswegen hierher zog, um sein wichtigstes Drama „Die Weber“ zu vollenden, ist nicht bekannt. Als die Eisenbahn 1902 nach Szklarska Poręba kam, war Hauptmann jedenfalls längst weitergezogen.
Wie ein Lindwurm schlängelt sich die Strecke durch das weit zerstreute Gebirgsstädtchen, das in einen unteren („Dolna“), mittleren („Średnia“) und oberen („Górna“) Teil gegliedert ist. Alle drei sind durch einen eigenen Bahnhof erschlossen. Ein letztes mal quietschen die Bremen, wir kommen an einer mächtigen Felswand zum Stehen.
Szklarska Poręba Górna ist Endstation für die Züge der polnischen Eisenbahn. Ich bin der einzige, der bis hier im Schlafwagen verblieben ist. Als auch aus den Sitzwagen nur eine Handvoll Fahrgäste springt, mache ich mir Sorgen um den Fortbestand der Verbindung. Zurecht, wie sich später herausstellen wird – im Fahrplan 2018 ist der Nachtzug von Warschau nicht mehr enthalten.
Zu Fuß durch Szklarska Poręba
In einem Reiseführer aus den 1920er Jahren heißt es: „Sommer wie Winter reges Leben, Unterhaltung aller Art.“ Heute ist Szklarska Poręba Eldorado für Aktivurlauber. Neben dem dichten Netz aus Wanderwegen ist es vor allem der Wintersport, der die Touristen lockt. So wundert es mich nicht, als ich plötzlich inmitten von Grau und Grün eine perfekt präparierte Skipiste entdecke – die Schneekanone macht’s möglich.
Trotz des touristischen Angebots wirkt der Ort wie ausgestorben. Eine Reise über die Feiertage – in Polen offenbar nicht hoch im Kurs. Ich mache mich auf zu einer Wanderung durch den Karkonoski Park Narodowy (Nationalpark Riesengebirge). Wo sonst kilometerlange Langlaufloipen warten, ist die Schneeauflage in diesem Jahr noch viel zu dünn. So bleibt eine Rotte Forstarbeiter die einzige Störung in dem Idyll aus Wald, Bach und Fels.
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7 Kommentare
Vielen dank für die tolle Reisebeschreibung.
Hans-Joachim Kress
Hallo Hans-Joachim,
vielen Dank für dein Lob, das freut mich sehr!
Sebastian
Nach Beitragsautor
Danke Dir gut die fantastische Geschichte. Ich komme aus Breslau und Reise auch mit den Zügen gerne. Und ich muss mit Dir zustimmen: es ist nichts schönes als in der Nacht im Zug sein, beim geöffneter Fenster Kaffe trinken 🙂.
Hallo Witek,
vielen Dank für deinen netten Kommentar. Es freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat.
Breslau liebe ich sehr! Ich bin dort schon einige Male mit dem Zug hingefahren. Bald wird es sicher auch dazu einen Bericht auf Train Tracks geben.
Viele Grüße,
Sebastian
Nach Beitragsautor
Das ist wunderbar. Ich warte auf deinen Bericht ungeduldig 🙂. Im April sind wir zusammen mit meine Tochter von Legden nach Breslau mit dem Zug gefahren und es war richtig geile Erlebnis, sogar für diese kleine 11 jährige Prinzessin 😉. Danke Dir.
Hallo Sebastian, deine Reise war schon beeindruckend beschrieben, denn Schlafwagenzüge, gibt es ja bei der Deutschen Bahn schon viele Jahre, nicht mehr. Aber mir kam, die Beschreibung, des wieder aktivierten Bahnabschnitt, der Zackenbahn, zu kurz, die ja seit vielen Jahren, nicht mehr, im Regelbetrieb bedient wurde, außer einige Güter oder Holztransporte, auf polnischer Seite und die Strecke, über den Kamm, als Abstellanlage, für alte Reisezugwagen verkam, ist es echt verwunderlich, daß die Republiken Polen und Tschechien, diese Landschaftlich, sehr reizvolle Strecke, für Touristen und besonders für den Wintersport, wieder komplett erneuerte und diese wieder täglich, grenzüberschreitend bedient, mal mit Triebzüge der CD, mal mit der PKP, gleichermaßen. Nur, das polnische Eisenbahnnetz, endet nicht in Slarska Poremba, sondern nach dem Kamm, beim Haltepunkt „Neue Welt“, wo sich die heutige Grenze, befindet und kurz danach der Bahnhof Harrachov erreicht wird. Zumindestens hättest du in Deiner Beschreibung, mehr auf die Haltepunkte eingehen sollen, die nach rund 50 Jahren wieder bedient werden, wo sonst überall in Europa auch heute noch viele Strecken stillgelegt werden, obwohl überall, der Individualverkehr wieder zunimmt und ein „Run“ auf Bahnstrecken wieder beginnt, um weniger mit dem Auto zu fahren zu müssen, auch gut fürs Klima ist.
Sehr interessanter Bericht ergänzend zum Eisenbahnromantik-Film Die Zackenbahn vom 04.11.22.
Danke