Internationaler Regionalzug
Am Bahnhof steht der Zug nach Deutschland schon bereit, natürlich wieder ein Dieseltriebwagen. Auf der kaum 40-minütigen Fahrt durch das Tal der Lausitzer Neiße werden wir sowohl auf tschechischen, polnischen und deutschen Boden unterwegs sein. Folgerichtig verkehrt die private Bahn unter der Marke trilex.
Über Chrastava (Kratzau) und Hrádek nad Nisou (Grottau) erreichen wir die Südwestspitze Polens, die wir ohne Halt durchqueren. Hier beginnt bereits die Anfahrt auf das Zittauer Neißetalviadukt. Eigentlich sollte die Bogenbrücke aus Stein in den letzten Kriegstagen zerstört werden. Ein junger Soldat mit Herz für die Eisenbahn konnte die Sprengung jedoch in letzter Sekunde verhindern. So gehört der Viadukt heute zu den ältesten in Deutschland.
Grenz-Hopping an der Neiße
Am Bahnhof von Zittau verlasse ich den Triebwagen. Er wird seine Fahrt noch auf der Mandaubahn bis Seifhennersdorf fortsetzen. Das Empfangsgebäude kommt mir bekannt vor – mit seinen Türmchen gleicht es verblüffend dem vom Liberec. In Zittau kann man noch die gute, alte Eisenbahn erleben: Auf drei Routen führt die dampfbetriebene Schmalspurbahn ins Gebirge. Mit dabei ist einer der kleinsten Speisewagen Europas.
Auch bei der großen Bahn geht es teils noch zu wie in alten Zeiten: Mächtige Formsignale geben die Einfahrt frei für meinen Regionalzug nach Görlitz. Der hingegen ist ganz modern und diesmal von der Ostdeutschen Eisenbahn. Wieder geht es an der Neiße entlang. Da sie ab Zittau Grenzfluss ist, wechseln wir insgesamt viermal zwischen Deutschland und Polen hin und her.
Bei Hagenwerder ein Kuriosum: Der Berzdorfer See ist mit 960 Hektar Fläche einer der größten in Sachsen, erschien jedoch erst 2013 vollständig auf der Landkarte. Unter dem Motto „vom Bergbau zum Urlaubsparadies“ entstand das Erholungsgebiet durch die Flutung eines ehemaligen Braunkohlereviers.
Wunderbares Görlitz
Vor dem Görlitzer Neißeviadukt knickt die Strecke scharf nach Westen ab und wir fahren ein in die prächtige Bahnhofshalle der östlichsten Stadt Deutschlands. Schon oft habe ich von der Schönheit von Görlitz gehört, jetzt kann ich mich endlich selbst davon überzeugen.
Bei einem Gang durch die historische Altstadt wird mir klar, warum selbst Hollywoodregisseure ins Schwärmen geraten. Es ist müßig, einzelne der über 4000 denkmalgeschützten Bauten herauszustellen. Was vor allem besticht, ist die Größe und Vielfalt des Ensembles, das alle wichtigen Epochen der mitteleuropäischen Architektur abdeckt. In Görlitz bekommt man eine Idee davon, wie es in Deutschland aussehen könnte, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben – als eine der wenigen blieb die Stadt von Zerstörungen verschont.
Einen einzigen Wermutstropfen entdecke ich dann doch noch: Auch in Görlitz bleibt mir ein weihnachtliches Heißgetränk verwehrt, denn der berühmte schlesische Christkindelmarkt hat bereits seit Mitte Dezember seine Pforten geschlossen. Stattdessen stoße ich auf dem Obermarkt vor der Dreifaltigkeitskirche auf eine Eislaufbahn – immerhin einen Hauch von Winter in der Stadt.
Grenzerfahrungen
Mein Rundgang findet an der Neiße sein natürliches Ende. Hier, am Fuße der Peterskirche, verbindet seit 2004 eine Fußgängerbrücke Görlitz mit seiner polnischen Schwesterstadt Zgorzelec. Kaum zu glauben: Bis vor zwölf Jahren war hier noch eine EU-Außengrenze. Heute erinnert allein die Werbung für billigen Sprit und Zigaretten daran, dass am anderen Ufer ein neuer Staat beginnt.
Drei Tage, drei Länder, unzählige Grenzübertritte. Dass das nicht mehr der Rede wert ist, ist ein Privileg. Daran muss ich denken, als die Neiße unter mir rauscht und sprudelt. Noch ein paar Schritte, dann endet meine Reise wo sie begann: in Polen.
7 Kommentare
Vielen dank für die tolle Reisebeschreibung.
Hans-Joachim Kress
Hallo Hans-Joachim,
vielen Dank für dein Lob, das freut mich sehr!
Sebastian
Nach Beitragsautor
Danke Dir gut die fantastische Geschichte. Ich komme aus Breslau und Reise auch mit den Zügen gerne. Und ich muss mit Dir zustimmen: es ist nichts schönes als in der Nacht im Zug sein, beim geöffneter Fenster Kaffe trinken 🙂.
Hallo Witek,
vielen Dank für deinen netten Kommentar. Es freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat.
Breslau liebe ich sehr! Ich bin dort schon einige Male mit dem Zug hingefahren. Bald wird es sicher auch dazu einen Bericht auf Train Tracks geben.
Viele Grüße,
Sebastian
Nach Beitragsautor
Das ist wunderbar. Ich warte auf deinen Bericht ungeduldig 🙂. Im April sind wir zusammen mit meine Tochter von Legden nach Breslau mit dem Zug gefahren und es war richtig geile Erlebnis, sogar für diese kleine 11 jährige Prinzessin 😉. Danke Dir.
Hallo Sebastian, deine Reise war schon beeindruckend beschrieben, denn Schlafwagenzüge, gibt es ja bei der Deutschen Bahn schon viele Jahre, nicht mehr. Aber mir kam, die Beschreibung, des wieder aktivierten Bahnabschnitt, der Zackenbahn, zu kurz, die ja seit vielen Jahren, nicht mehr, im Regelbetrieb bedient wurde, außer einige Güter oder Holztransporte, auf polnischer Seite und die Strecke, über den Kamm, als Abstellanlage, für alte Reisezugwagen verkam, ist es echt verwunderlich, daß die Republiken Polen und Tschechien, diese Landschaftlich, sehr reizvolle Strecke, für Touristen und besonders für den Wintersport, wieder komplett erneuerte und diese wieder täglich, grenzüberschreitend bedient, mal mit Triebzüge der CD, mal mit der PKP, gleichermaßen. Nur, das polnische Eisenbahnnetz, endet nicht in Slarska Poremba, sondern nach dem Kamm, beim Haltepunkt „Neue Welt“, wo sich die heutige Grenze, befindet und kurz danach der Bahnhof Harrachov erreicht wird. Zumindestens hättest du in Deiner Beschreibung, mehr auf die Haltepunkte eingehen sollen, die nach rund 50 Jahren wieder bedient werden, wo sonst überall in Europa auch heute noch viele Strecken stillgelegt werden, obwohl überall, der Individualverkehr wieder zunimmt und ein „Run“ auf Bahnstrecken wieder beginnt, um weniger mit dem Auto zu fahren zu müssen, auch gut fürs Klima ist.
Sehr interessanter Bericht ergänzend zum Eisenbahnromantik-Film Die Zackenbahn vom 04.11.22.
Danke