Bergbau, Kathedralen, Knochen – Kutná Hora hat einiges zu bieten. Touristen lockt vor allem das schaurig-schöne Sedletz-Ossarium, erbaut aus 40.000 menschlichen Skeletten. Zum UNESCO-Welterbe zählt das ehemalige Kuttenberg aber wegen seiner Altstadt. Es war das Silbererz, was Kutná Hora im 13. Jahrhundert zur zweitgrößten Stadt Böhmens machte. Auch wenn der Glanz des Silbers längst verblasst ist: Bauten wie der Dom der heiligen Barbara, das Jesuitenkolleg oder die Kirche St. Jakob blieben als Zeugen des einstigen Ruhms.
Kutná Hora war die erste Station auf meiner Zugreise zu den Welterbestätten Tschechiens. Gemäß dem Motto „alles außer Prag“ führte mich mein Weg nicht über die Hauptstadt, sondern zunächst von Berlin nach Ústí nad Labem. Von dort brach ich ich dann in das Herz der Tschechischen Republik auf. Was ich dabei erlebte, erfährst du in diesem Bericht.
Dobrý den, Ústí nad Labem
Ich erwache über den Wolken. Genauer gesagt im neunten Stock eines Hotelbunkers, mitten im Zentrum von Ústí nad Labem. Nachdem ich schon oft mit den Zug durch die Stadt an der Elbe gerauscht bin, wollte ich endlich einmal aussteigen. Das war eine gute Idee. Hinter mir liegt nicht nur eine wundebare Fahrt im tschechischen Speisewagen, sondern auch ein launiger Abend im Na Rychtě, dem unter Eisenbahn-Fans berüchtigten Brauereilokal.
Was hingegen vor mir liegt, ist ein strammes Programm. Also mache ich mich gegen acht Uhr mit meinem Interrail-Ticket in der Tasche auf zum Bahnhof. Jedoch nicht zum Hauptbahnhof an der linkselbischen Strecke nach Prag, sondern zur Station Ústí nad Labem západ. Hier beginnt die weniger bekannte rechtselbische Bahn. Mit einem waghalsigen Überquerungsmanöver über eine vierspurige Straße komme ich am Bahnsteig an.
Jenseits der Elbe
Hier steht bereits mein Mini-Schnellzug: Eine Lok, zwei Wagen. In den vorderen der beiden klettere ich, es ist ein liebevoll modernisierter Großraumwagen mit Fenstern zum Öffnen. Auch wenn es mich in den Fingern juckt, traue ich mich das zunächst nicht. Zu kalt ist es draußen und zu voll der Zug mit Menschen, die eher nach Pendlern, als nach Eisenbahn-Romantikern aussehen.
Meiner Kamera verborgen bleibt damit nicht nur die Fahrt über die Elbbrücke, sondern auch die idyllische Flusslandschaft danach. Immer wieder kann man auf die weitaus bedeutendere Strecke auf der anderen Seite sehen. In kurzen Abständen wechseln sich dort lange Reisezüge mit noch längeren Güterzügen ab. Hier, jenseits der Elbe, geht es gemütlicher zu. Wir tingeln über die Dörfer. Am bekanntesten dürfte das Königsstädtchen Litoměřice sein, wo die Eger in die Elbe mündet.
Morgens halb elf in Tschechien
Nach exakt zwei Stunden erreichen wir Kolín, zu k.u.k.-Zeiten besser bekannt als Köln an der Elbe. Sogar einen Dom gibt es, für den bleibt jedoch keine Zeit. Wohl aber für eine kleine Runde durch den Bahnhof. Mit diversen Schaltern, Wartesaal und Restaurant wartet der mit allem auf, was eine intakte Bahnstation auszeichnet. Es ist morgens halb elf in Tschechien – das heißt, im Restaurace werden längst die Biere über die Theke geschoben.
Auf der nächsten Etappe wird mich wieder ein Schnellzug – tschechisch Rychlík – begleiten. Ein Rychlík besteht oft aus alten, nicht klimatisierten Abteilwagen. So auch Zug R 979, der mit ohrenbetäubenden Pfeifen am Bahnsteig zum Stehen kommt. Er trägt den Beinamen Barbora, könnte aber ebenso gut UNESCO-Express heißen: Mit Prag, Kutna Hora, Žďár nad Sázavou und Brno verbindet er vier der zwölf Welterbe-Städte.
Jahrzehntelang eingespielt
Ich steige in den ältesten Wagen im Zug – so alt, dass man ihn offenbar bei jeder Neulackierung vergisst. Seit jeher fährt er in Grün und Weiß durch die Lande und schert sich wenig um das aktuelle Blauheitsgebot der Tschechischen Bahn. Es lohnt sich kaum mein Gepäck zu verstauen, denn schon zehn Minuten später sind wir am Bahnhof Kutná Hora hlavní nádraží.
Da der Hauptbahnhof von Kutná Hora ein wenig vom Zentrum entfernt liegt – genauer gesagt ganze zwei Kilometer – spielt sich nun ein Schauspiel ab, dass es so wohl nur noch bei unseren östlichen Nachbarn gibt: Als sich unsere Türen öffnen, wartet am Hausbahnsteig schon tuckernd ein Dieseltriebwagen auf seine Gäste. Und die strömen zahlreich durch die Unterführung, der 7-Minuten-Übergang versetzt hier jedoch niemanden in Aufregung. Es ist eine über Jahrzehnte einstudierte Routine.
Rangierfahrt vor Publikum
Als dann alle an Bord sind, fährt die Regionova zunächst rückwärts aus dem Bahnhof, um sogleich im Gleisvorfeld wieder zum Stehen zu kommen. Der Lokführer läuft einmal um sein Arbeitsgerät, eine Weiche springt um, und schon geht es der Altstadt von Kutná Hora entgegen. Eine Rangierfahrt vor Publikum – was in vermeintlich modernen Ländern wie Deutschland undenkbar ist, gehört in Tschechien noch zum Alltag.
Eine Reisegruppe aus Japan staunt nicht schlecht, wie die Regionova schnaufend und pfeifend über die Gleise rumpelt. Der Kontrast zu den High-Speed-Zügen ihrer Heimat könnte nicht größer sein. Dass ihr Zielbahnhof im Ortsteil Sedlec nur Bedarfshalt ist, sorgt kurzzeitig für Verwirrung. Doch ein junger Tscheche springt ihnen sogleich helfend zur Seite. Auch das wirkt wie dutzende Male geübt – Kutná Hora liegt in idealer Entfernung für einen Tagesausflug aus Prag.
Freundliches Kutná Hora
Kurz nach dem einzigen Zwischenhalt laufen wir schon in der Endstation ein, dem Stadtbahnhof Kutná Hora město. Dieser liegt aber immer noch ein kleines Stück entfernt vom Zentrum, zu dem ich mich zu Fuß auf den Weg mache. Als ich am zentralen Platz Palackého náměstí ankomme, werde ich sogleich mit offenen Armen in der Tourist-Information empfangen. Auf die Frage nach einem Schließfach lande ich in einem Hinterzimmer, wo ich meinen Rucksack ganz unbürokratisch abstellen darf – sehr freundlich!
Von der Last auf meinem Rücken befreit mache ich mich mit dem Stadtbild vertraut. In drei Ebenen schichtet sich Kutná Hora dem mittelböhmischen Hügelland entgegen: Im Tal schlängelt sich das Flüsschen Vrchlice, in der Mitte drängen sich die bunten Häuser des weltlichen Zentrums, und über allem thront das Ensemble aus Barbara-Dom und Jesuitenkolleg. Ich entscheide mich für einen Rundgang von oben nach unten.
Dom mit Aussicht
Unter dem Zeltdach des Doms wird mir schlagartig klar: Kutná Hora muss einst sehr reich gewesen sein. Aus heutiger Sicht ist alles mindestens zwei Nummern zu groß und prachtvoll für die kleine Stadt. Sage und schreibe 500 Jahre hat es gedauert, bis die Kathedrale 1905 fertiggestellt wurde. Dass sich die Wartezeit gelohnt hat, davon überzeuge ich mich von der Empore. In luftiger Höhe umläuft sie das Kirchenschiff und gibt unter anderem einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der Orgel frei.
Beim Herausgehen lande ich in einer Busladung Touristen aus Prag. Erst im Getümmel merke ich, dass hier eigentlich ein Eintritt fällig gewesen wäre. Schwamm drüber, denke ich mir, als alter Messdiener habe ich schließlich meinen Dienst an der Kirche für dieses Leben erbracht.
Als die Jesuiten kamen
Stattdessen genieße ich die Aussicht vom Vorplatz. Hinter den Wolken lugt die schon kräftige Märzsonne hervor, als sich pfeifend ein Zug ankündigt. Wieder ist es eine Regionova. Diesmal endete ihre Fahrt jedoch nicht am Město-Bahnhof, sondern sie gehört zu den wenigen Zügen, die bis Zruč nad Sázavou durchgebunden werden. Von meinem Beobachtungspunkt aus kann ich den Triebwagen auf seiner weiten Runde durch de Ort verfolgen – im Schritttempo und untermalt vom rhythmischen Tack-Tack der Schienenstöße. Das ist Eisenbahnromantik pur!
Nach diesem Zwischenspiel wende ich mich mit dem Jesuitenkolleg wieder der Weltkultur zu. Die Jesuiten kamen Anfang des 17. Jahrhunderts nach Kutná Hora. Nach und nach rissen sie sich alle wichtigen Gebäude unter den Nagel, unter anderem den Dom der heiligen Barbara. Mit dem Bau des riesigen Kollegs begannen sie 1667. Zu Zeiten des Kommunismus diente es als Kaserne – und wäre um ein Haar zerstört worden. Zum Glück kam es anders. Das Jesuitenkolleg erstrahlt heute in neuem Glanz und beherbergt moderne Kunst. Auf der Hangseite lädt die von Heiligenstatuen gesäumte Barborská zum Flanieren ein. Stetig bergab führt sie mich in die engen Gassen der Altstadt.
Selige Ruhe
Hier buhlen dutzende Kneipen, Cafés und Restaurants um Aufmerksamkeit. Ich entscheide mich für eine winzige Kellerspelunke, in der es – wie in Tschechien üblich – einen günstigen Mittagstisch gibt. Nach dem Essen drehe ich noch eine Runde durchs Zentrum. Leider finde ich die zweite bedeutende Kirche von Kutná Hora, die St.-Jakobkirche aus dem 14. Jahrhundert, verschlossen vor.
Statt den höchsten Kirchturm Böhmens hinauf, steige ich hinab zum Fluss. Im kleinen Park unterhalb von St. Jakob empfängt mich eine selige Ruhe, die nur ab und an von zwei Gärtnern mit ihrem Mähgerät unterbrochen wird. In der Mittagssonne gehe ich noch ein bisschen zwischen Gleisen und Vrchlice spazieren – natürlich in der Hoffnung, einen Zug vor historischer Kulisse ablichten zu können. Leider macht mir der dünne Fahrplan einen Strich durch die Rechnung.
Auf zu neuen Ufern
Apropos Fahrplan: Da meiner heute eng gestrickt ist, mache ich mich bald auf den Rückweg. Mit meinem wohlbehüteten Rucksack erreiche ich pünktlich Kutná Hora město. Hier findet gerade ein Treffen der (Farb-)Generationen statt: Regionova blau trifft Regionova orange-grün. Letztere ist meine, und nachdem der Lokführer wieder seine halbe Pirouette gedreht hat, bin ich um kaum drei Uhr zurück am Hauptbahnhof.
Von hier nehme ich wieder den Schnellzug. Am offenen Fenster ist Zeit für ein kurzes Resümee: Auch ohne Knochenkammer ist Kutná Hora auf jeden Fall einen Besuch wert. Die Nebenbahn nach Zruč nad Sázavou sorgt außerdem für den Schuss Eisenbahnromantik. Da muss ich unbedingt mal lang fahren, sage ich mir. In dem Moment jaulen die Bremsen auf und wir erreichen Kolín. Von hier geht es für mich weiter zur nächsten Welterbestätte. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich dir bald erzähle, wenn es wieder heißt: Welterbe Tschechien.