Intercity durchs Saaletal
Nach dem geballten Kulturprogramm freue ich mich auf die nun folgende Bahnfahrt. Der schnellste Weg nach Erfurt führt über Halle und die 2015 eröffnete Neubaustrecke. Als alter Eisenbahnromantiker entscheide ich mich aber für die gemütliche Alternative: Über Leipzig und – zumindest ein kleines Stück – durch das Saaletal.
Vom ICE habe ich für heute genug, also steige ich in einen der wenigen Intercity-Züge in dieser Gegend. Durch die vom Bergbau gebeutelte Landschaft bei Bitterfeld geht es in die Leipziger Tiefebene. Nach dem Fahrtrichtungswechsel in der Messestadt überqueren wir bei Bad Dürrenberg die Saale und biegen auf die Thüringer Bahn ein.
Hier wird die Strecke richtig schön. Entlang der bunten Weinberge der Saale-Unstrut-Region und vorbei am Schloss Goseck erreichen wir Naumburg. Leider muss ich hier schon aussteigen. Die tausendjährige Domstadt dient mir heute nur als Umsteigestation. Das letzte Stück lege ich im Regionalexpress der privaten Abellio Rail zurück. Dabei bleiben mir die vollen Züge treu: Die Fahrt in den Sonnenuntergang erlebe ich stehend.
Willkommen in Erfurt
Am Erfurter Hauptbahnhof empfängt mich ein spektakuläres Farbenspiel am Himmel. Noch wirkt die imposante Dachkonstruktion reichlich überdimensioniert für die Handvoll Regionaltriebzüge, die sich darunter tummeln. Zum Fahrplanwechsel wird sich das jedoch schlagartig ändern: Mit Eröffnung der Schnellfahrstrecke nach Nürnberg wird Erfurt zum Drehkreuz im ICE-Verkehr der Deutschen Bahn.
Erfurt ist die Stadt in der Luther einst sein Studium begann. Heute gehört sie mit etwa 200.000 Einwohnen zu den eher kleineren Großstädten. Bei einem nächtlichen Rundgang mache ich mich schon einmal mit Marktplatz, Dom und Altstadt vertraut, ehe ich den Tag mit einem Eis auf der Krämerbrücke beschließe.
Auf dem Petersberg
Der nächste Tag beginnt einsam: An diesem frühen Samstag bin ich der einzige auf der Zitadelle Petersberg. In Ruhe erkunde ich das weitläufige Gelände über den Dächern der Stadt. Die ehemalige Festung wurde Anfang des 18. Jahrhunderts vollendet – also lange nach Luthers Zeiten. Heute sorgt eine Mischung aus Verteidigungsanlagen, zerfallenden Kasernen und modernen Zweckbauten für spannende Kontraste.
Vom Petersberg schlendere hinab zum Dom, den Luther sicherlich Dutzende Male besucht haben muss. Mir bleibt der Zugang jedoch heute verwehrt: Die schwere Tür ist verschlossen, ringsum niemand zu sehen.
Zurück auf Luthers Spur
Bedeutend lebhafter geht es auf dem Wochenmarkt am Fuße des Dombergs zu. Nach einer Runde durch die Stände und Buden ist klar: Dies ist kein Ort für Vegetarier. Hier, in der Herzkammer der Wurstrepublik Deutschland, heißen die Spezialitäten Feldgieker, Stracke und Kälberblase. Dazu natürlich die klassische Bratwurst, die es in Erfurt an jeder Ecke gibt.
Die Spur Luthers nehme ich am Collegium Maius wieder auf. Das ehemalige Hauptgebäude der Erfurter Universität wurde nach seiner Zerstörung 1945 vollständig wiedererrichtet. Hier begann Luther im Jahre 1501 sein Studium, seine ersten Schritte als Theologe unternahm er in der gegenüberliegenden Michaeliskirche. Ironie der Geschichte: Heute sitzt hier die Verwaltung der Evangelischen Landeskirche.
Am Fischmarkt…
Vom so genannten lateinischen Viertel schlendere ich durch enge Altstadtgassen zum Fischmarkt. Zwischen den reich verzierten Renaissancefassaden wurde einst tatsächlich Fisch verkauft. Heute laden Cafés und Restaurants zum Verweilen ein.
Am Rathaus entdecke ich einen besonderen Bewohner: Er ist kastig, chronisch depressiv und hört auf den Namen Bernd. Zusammen mit seinen über die Stadt verteilten Freunden – Maus, Elefant, Sandmännchen und Käpt’n Blaubär – erinnert er an den hier in Erfurt ansässigen Kinderkanal (KiKa).
…und auf der Krämerbrücke
Wieder lande ich an Erfurts wohl bekanntestem Bauwerk: Die Krämerbrücke. Mit ihren 32 Fachwerkhäusern gilt sie als größte bewohnte Brücke Europas. Nachdem die alte Holzkonstruktion diversen Bränden zum Opfer gefallen war, entschied man sich Ende des 13. Jahrhunderts für einen massiven Neubau aus Stein. In seinen Grundzügen besteht dieser bis heute.
Die Brückenköpfe begrenzen zwei Sakralbauten: Die Benediktikirche im Westen und die Ägidienkirche im Osten. Letztere lässt mein Herz höher schlagen – ihr Turm ist begehbar! Das mache ich natürlich sofort. Beim Aufstieg zweifle ich zwar, ob die knarzenden Holztreppen neusten sicherheitstechnischen Standards genügen. Oben angekommen genieße ich dafür umso mehr den Prachtblick auf die Altstadt und den nahen Thüringer Wald.
„Don’t Look Back in Anger“
Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, entdecke ich in einem silbernen Rahmen ein Plakat. Es trägt die Aufschrift:
Die meisten sogenannten Sehenswürdigkeiten sind vom vielen Hinschauen schon ganz abgenutzt.
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen: Im Sinne des Erhaltes der Erfurter Altstadt verzichte ich auf weiteres Besichtigungsprogramm – vorerst jedenfalls. Während sich die Sonne das erste mal nachhaltig am Himmel zeigt, mache ich mich gemütlichen Schrittes auf zum Bahnhof.
Einen letzten Abstecher unternehme ich dann doch noch: Zum Anger, den zentralen Platz der Stadt. Hier haben auch die Erfurter Luther ein Denkmal gesetzt. Es zeigt den Reformator mit der Bibel in der Hand, während auf dem Sockel Stationen seiner Erfurter Zeit nachgebildet sind. Diese Jahre, so Luther später, seien seine prägendsten gewesen.
Am Bahnhofsvorplatz erinnert die Anschrift am Erfurter Hof („Willy Brandt ans Fenster“) an einen anderen Erfurt-Besuch vor 47 Jahren. Brandt war übrigens auch mit der Eisenbahn gekommen – damals ein ungleich schwierigeres Unterfangen. Kurz halte ich inne. Ein schönes Gefühl, dass Reisen zwischen Ost und West längst selbstverständlich geworden sind.
Im Sonnenschein verlasse ich eine Stadt, in die ich ohne große Erwartungen kam, die mich aber als Fan wieder gehen lässt. Eins ist sicher: Ich werde garantiert wiederkommen.
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1 Kommentar
DANKE für ALLES!!!!!!!!!!!!!!!!!