Ob als Socke, Spielzeug-Figur oder Thermobecher: Fünfhundert Jahre nach dem berühmten Thesenanschlag zu Wittenberg ist Martin Luther in aller Munde. Sogar die Bahn hat ein spezielles Ticket zum Reformationsjahr 2017 im Angebot.
Besonders gefeiert wird in den 16 deutschen Lutherstädten. Das sind jene Orte, an denen der große Reformator einst gelebt und gewirkt hat. Die meisten von ihnen liegen in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ich habe das große Jubiläum zum Anlass genommen, drei der Lutherstädte zu besuchen: Wittenberg, Erfurt und Eisenach. Natürlich mit der Eisenbahn.
Gestatten: Wittenberg, Lutherstadt Wittenberg
Mein erstes Ziel trägt seinen berühmtesten Sohn sogar im offiziellen Namen: Lutherstadt Wittenberg. Luthers Hauptwirkungsstätte liegt an der ICE-Linie Berlin–Leipzig–München. Viele der Züge starten bereits in Hamburg, wo auch meine Reise beginnt.
Es ist Freitag, der Zug ist voll. Nur mühsam finde ich Platz auf den Trittstufen im Vorraum. Kurz vor Berlin wird mir das alles zu bunt und ich fliehe ins Bordrestaurant. Schon Luther wusste: „Wer nirgends isst, der wird nimmer satt.“ Das nehme ich mir zu Herzen und ordere ein herbstliches Hirschgulasch.
Kaum ist der Teller leer, erreichen wir Wittenberg. Wie der Zufall so spielt, bin ich am Bahnhof des Jahres 2017 gelandet. Renoviert und wiedereröffnet wurde er pünktlich zum Lutherjahr. Ich erfahre, dass es sich um einen klimaneutralen Bahnhof handelt. Erst der zweite überhaupt in Deutschland. Die Solaranlage auf dem Dach hat an diesem milden Oktobertag immerhin noch ein wenig zu tun.
Zu Fuß mache ich mich auf in Richtung Zentrum. Ich bin nicht der einzige mit diesem Ziel: Reisebusse aus Italien, Polen und der Schweiz weisen mir den Weg. Selbst aus Bayern hat man sich in die preußische Provinz getraut. Dennoch, der erste Eindruck ist positiv. Die kompakte Altstadt wirkt gepflegt und gemütlich – und macht Lust auf einen Erkundungsgang.
Vier mal Welterbe auf 1000 Metern
Für den Bahnreisenden, der sich von Osten nähert, ist das Lutherhaus die erste Attraktion. Das ehemalige Kloster gehört zu den vier Gedenkstätten in Wittenberg, die 1996 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Mehr als drei Jahrzehnte wohnte Luther hier mit seiner Familie. Heute beherbergt das Gebäude das wohl größte Museum zur Geschichte der Reformation. Zu bestaunen gibt es unter anderem die Lutherstube, Schauplatz der berühmten Tischreden.
Angesichts des stattlichen Eintritts verzichte ich auf den Besuch und schlendere die schnurgerade Collegienstraße entlang. Schon bald stehe ich vor dem nächsten Welterbe: Dem ehemaligen Wohnhaus von Philipp Melanchthon, ein treuer Weggefährte Luthers.
Wunderkind, Professor, Humanist – ich erfahre, dass Melanchthon ein wahres Universalgenie gewesen sein muss. Bereits zu Lebzeiten erwarb er sich den Beinamen „Lehrer der Deutschen“. Von Melanchthons Bedeutung zeugt nicht zuletzt die Pracht seines im Stil der Renaissance errichteten Hauses.
Die Helden vom Marktplatz
Weiter geht es zum zentralen Marktplatz. Dominiert ist der Platz von zwei fast baugleichen Denkmälern: Eines für Luther, eines für seinen Kumpel Melanchthon. Am Sockel des Lutherdenkmals heißt es:
Ist’s Gottes Werk, so wird’s bestehn, Ist’s Menschenwerk, wird’s untergehn.
Ob damit die Stadtkirche gemeint ist, deren Doppeltürme an der Ostseite des Marktes aufragen? Das Gotteshaus jedenfalls hat schon mindestens 800 Jahre überdauert. Damit ist es Wittenbergs älteste Kirche und Welterbestätte Nummer drei. Die Stadt- und Pfarrkirche St. Marien, wie sie offiziell heißt, wurde 1187 erstmals urkundlich erwähnt. Drei Jahrhunderte war sie die Hauptwirkungsstätte des Predigers Martin Luther. Wie es sich für einen ordentlichen Protestanten gehört, war Luther ein fleißiger Arbeiter. Bis zu 70 mal im Jahr soll er hier auf die Kanzel gestiegen sein.
Ablass 2017
Drinnen begeistert das mächtige Altarbild von Lucas Cranach dem Älteren und seinem Sohn, Lucas Cranach dem Jüngeren. Was hingegen stört: Der penetrante Hinweis auf das Fotografierverbot an jeder Ecke. Wer trotzdem auf den Auslöser drückt, kann im kircheneigenen Souvenir-Shop Buße tun. Verwundert über diese Praxis ziehe ich weiter.
An der Schlossstraße stoße auf einen gemütlichen Hinterhof, der sich als ehemalige Wirkungsstätte der beiden Cranachs entpuppt. Von hier, einem der beiden Cranach-Höfe, führten die berühmten Renaissance-Künstler ihr Familienunternehmen. Während man die Anlagen zu DDR-Zeiten noch verkommen ließ, erstrahlen sie heute in neuem Glanz.
Lieber Turm als Tür
Dann stehe ich vor der letzten und wohl bekanntesten Welterbestätte Wittenbergs: Die Schlosskirche. Von ihrem Portal verübte Luther seinen Anschlag auf die christliche Welt. Dass die Aktion vermutlich gar nicht stattgefunden hat? Hier interessiert das keinen. Zu gut wirbt es sich mit der vermeintlich berühmtesten Tür der Welt.
Mehr als der Eingang der Schlosskirche interessiert mich allerdings ihr Turm. Wie vieles in Wittenberg wurde auch dieser zum großen Jubiläum saniert und verfügt nun über einen vollautomatische Einlass. Schattenseite des Fortschritts: Der Turmwächter ist seinen Job los.
Im Besucherzentrum erwerbe ich eine Wertmünze. Als die im Kasten klingt, gibt das Drehkreuz die 289 Stufen frei. Unbestechlich wacht die Anlage über die Besucherzahl – die Marke von 30 darf nicht überschritten werden. Die Gefahr der Überfüllung besteht jedoch nicht: Ich bleibe der einzige Gast. Derart prädestiniert genieße ich den Ausblick über das Stadtzentrum und die nahen Elbwiesen.
Zufrieden mache ich mich auf den Rückweg zum Bahnhof. Wie zufällig führt mich der Spazierweg am örtlichen Einkaufszentrum vorbei. Der Eindruck verfestigt sich: Hier in Wittenberg haben sie auch die weltlichen Dingen ganz gut im Griff.
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1 Kommentar
DANKE für ALLES!!!!!!!!!!!!!!!!!