Nachtzüge umweht noch immer ein Hauch vom Luxus früherer Zeiten. Als das Reisen mit der Eisenbahn noch einer kleinen, wohlhabenden Schicht vorbehalten war, trugen sie nicht nur eine schnöde Nummer, sondern auch einen Namen. Er verlieh ihnen Klang und Aura des Namensgebers. Einige dieser Namen haben sich bis in die heutige Zeit gerettet.
So auch beim EuroNight „Lisinski“ zwischen München und Zagreb. Der Nachtzug erinnert an den kroatischen Komponisten Vatroslav Lisinski, geboren 1819 in Zagreb. Eine Abfahrt vom Zagreber Bahnhof dürfte dieser jedoch nie erlebt haben, wurde doch die sogenannte Kroatische Bahn als Anschluss an die Österreichischen Südbahn erst im Jahr 1862 eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war Lisinski schon acht Jahre nicht mehr am Leben.
Fernweh und Heimweh
Nachtzüge – ich habe da sofort ein Bild im Kopf. Der spätabendliche Bahnhof stellt allmählich seine geschäftige Betriebsamkeit ein. Der Kiosk lässt die Rollos herunter. Achtlos weggeworfene Fahrscheine, die niemanden mehr irgendwohin bringen, werden zusammengefegt. Die Abfahrtstafel zeigt nur noch wenige Züge an. Auf diesen Tafeln stehen sie dann, die Nachtzüge – mit weit entfernten Zielen. Fernweh. Oder auch Heimweh.
In meinem Fall diesmal ausnahmsweise letzteres. Meine ursprünglich größer geplante Tour wird mir in Zagreb zu viel. Ich war die Wochen vorher massiv unterwegs gewesen, habe Sehnsucht nach dem heimischen Herd. So wird die Reise spontan für beendet erklärt und ich möchte nur noch komfortabel und schnellstmöglich nach Hause. Ich mache mich also auf, eine Fahrkarte zu kaufen. Am besten bequem und ohne Umstieg. Kurzum: Ein Nachtzug wäre ideal.
Glück am Ticketschalter
Natürlich lässt sich das heutzutage auch elektronisch erledigen. Ich ziehe aber, wo es geht, Nostalgie vor. In dieser Mission finde ich den internationalen Schalter der HŽPP am Zagreb Glavni kolodvor. Dort wird wohl englisch gesprochen, hoffe ich, und werde nicht enttäuscht. Der Mann hinter der Glasscheibe ist zwar etwas brummelig, aber effizient, und so ist das Geschäft schnell erledigt.
Zu meiner großen Überraschung befinde ich mich binnen zwei Minuten im Besitz einer Fahrkarte für ein Einzelabteil im Schlafwagen nach München am gleichen Abend. Das ist offen gestanden einfach nur Dusel. In der Regel sind solche Single-Coupés kurzfristig kaum zu bekommen. Ich kann mein Glück nur der Tatsache zuschreiben, dass Ende Juni die Rückreisewelle noch nicht angebrochen ist.
Ein Tag zur vollen Verfügung
Der Lisinski wird erst um 21:20 Uhr abfahren. Ich habe also noch viele Stunden Zeit, die Stadt zu erkunden. Ein weiterer unschätzbarer Vorteil eines Nachtzuges. Ein ganzer Tag zur vollen Verfügung! Mein Rucksack, den ich nicht durch die Gegend schleppen will, findet Platz in einem der geräumigen Aufbewahrungsfächer, die man für 15 Kuna 24 Stunden mieten kann.
Ich verbringe also einen langen, warmen Sommertag voller bunter Eindrücke und Begegnungen. An deutsche Großstädte gewöhnt, sind die Menschen für mich überraschend herzlich und höflich. Durch die quirlige Stadt zu streifen ist auch deshalb ein großes Vergnügen.
Drei Wagen auf Gleis 1
Reisefieber und Neugier treiben mich dann doch eine gute halbe Stunde vor Abfahrt an den Hauptbahnhof. Ich will ja schließlich die Atmosphäre des abendlichen Bahnhofs erleben, mich mit Reiseproviant versorgen und so viel wie möglich von „meinem“ Zug sehen bevor es losgeht.
Auf Gleis 1 – insgeheim denke ich mir: ja, Gleis 1, so muss das sein – drei bereitgestellte Wagen, an denen noch keine Lok zu sehen ist. Ein Schlafwagen, ein Liegewagen, ein Sitzwagen. Allerdings ist der Zug, auf den ich als Pendlerin morgens in München oft neidvoll hinüberblicke, in meiner Erinnerung wesentlich länger. Es werden sich also noch einige Kurswagen aus anderen Abfahrtsbahnhöfen auf dem Weg nach München dazugesellen.
Ein freundlicher Schaffner, der Einlass gewährt weit vor der Zeit, wirft nur einen kurzen Blick auf mein Ticket. Dann macht er eine einladende Handbewegung in Richtung Schlafwagen und so kann ich mein Gepäck schon im Abteil verstauen. Anschließend noch einmal nach draussen, ich will ja Bilder machen.
Ein letztes Stoßgebet?
Schon bei der Anreise war mir auf dem Bahnsteig eine von Menschen umlagerte, im Bahnhofsgebäude eingebaute Nische aufgefallen. Sie stellt sich als ein winziger Andachtsraum heraus. Nun, wo ich keinen Betenden störe, kann ich ihn in Augenschein nehmen.
Hier kann man also zu jeder Zeit ein letztes Stoßgebet vor der Reise loswerden. Ich fühle mich hingegen gesichert genug, denn Wagenmeister mit schweren Hämmern umkreisen aufmerksam prüfend den Zug. Reisende steigen ein und suchen ihr Abteil. Der Schaffner hilft gelassen und gutmütig, Gepäck zu verstauen, Platz zu finden, anzukommen. Selbst ich Hinein- und Heraushüpfende, fotografierend um die Wagen Herumschleichende, kann den offensichtlichen Gemütsmenschen nicht nervös machen.
Entdeckungen im Schlafwagen
Doch nun auf in den Wagen. Die Lok ist inzwischen da, es geht los. Da es draußen für mich gerade nichts zu sehen gibt, inspizierte ich mein Coupé genauer. Eine Schlafliege mit frischem weißen Bettzeug ist da, ein Waschbecken, sogar ein Unterschränkchen mit zwei Fächern. Das Fenster lässt sich im oberen Teil aufklappen, so dass Frischluftzufuhr in jedem Fall gewährleistet ist. Der Wagen ist allerdings auch gut klimatisiert. Nicht zu vergessen, gibt es für die energiehungrigen Geräte, die man inzwischen ja so mit sich führt, zwei Steckdosen.
Im Abteil sind als Beigaben Wasser, Orangensaft, ein verpacktes Schoko-Croissant und ein Desinfektionstuch bereitgelegt. Ebenfalls nicht fehlen darf ein offenbar bei erfahrenen Reisenden überaus beliebtes Schwämmchen mit Schuhcreme.
Noch einmal begebe ich mich auf den Gang, um weitere Örtlichkeiten zu erkunden. Die Kaffeebar am Ende des Wagens ist zwar geschlossen, allerdings verkauft der Schaffner auf Nachfrage gerne Wein, Bier und alkoholfreie Getränke.
Den Ausweis, bitte!
Ich mache es mir im Abteil gemütlich. Noch ist es nicht ganz dunkel und ich sitze am Fenster. Bei einem gut gekühlten Weißwein lasse ich die Landschaft an mir vorbeiziehen. Der Schaffner kommt noch einmal vorbei, um für die Nacht die Fahrkarten einzusammeln. Er erinnert mich an das Bereitlegen des Ausweises für die Grenzkontrolle, die in ein paar Minuten stattfinden soll.
In Dobova, an der slowenisch-kroatischen Grenze, steigen Grenzbeamte beider Nationen ein. Intensiv kontrollieren sie die Personalpapiere. Wieder sind Wagenmeister mit schweren Hämmern rund um die Waggons unterwegs. Bald schon fahren wir weiter.
Ein Rumms in Ljubljana
Bis Ljubljana hält mich die Neugier wach. Doch außer erneut gewissenhaft kontrollierenden Wagenmeistern gibt es dort nicht mehr viel zu sehen. Ein unvermittelter Rumms, der sich anfühlt wie ein kleines Erdbeben, macht mir jedoch klar: Hier wird gerade ein Zugteil angehängt. Es muss der aus Rijeka sein, rechne ich mir aus. So verstärkt setzt der Lisinski seine Reise fort.
Draußen ist nur noch die Dunkelheit. Es ist Zeit zu schlafen. Ich bin sehr müde und beim beruhigenden Geräusch der Räder auf den Schienen fallen mir schon bald die Augen zu. Ein sehr tiefer Schlaf muss das gewesen sein, denn ich habe – wie ich später erfahre – das Ankuppeln der Zugteile aus Budapest und Venedig verschlafen.
Willkommen in Bayern
Hellwach werde ich erst, als jemand heftig gegen die Abteiltür schlägt. „Aufmachen, Polizei!“, registriere ich zwischen Tag und Traum. Ich stehe senkrecht vor meiner Liege. Obwohl noch völlig benommen, schaffe ich es mit einigen Schwierigkeiten, das Türschloss zu entriegeln. Vor mir steht ein blutjunger bayerischer Grenzpolizist, dem die Situation noch unangenehmer ist als mir
Er wirft nur einen flüchtigen Blick in mein Abteil. Meine zwischen herzhaftem Gähnen hervorgepresste Frage, ob er meinen Ausweis benötige, wird mit einem schnell hervorgestoßenen „Nein nein, nicht nötig“ beschieden. Nun gut, jetzt bin ich wach und kann – es sind ja noch gut 2 Stunden bis München – den Tag ganz langsam angehen. Es ist inzwischen 5 Uhr und im Osten, zu dem mein Fenster zum Glück hinausgeht, kündigt sich der Tagesanbruch in hinreißenden Farben an.
Kaffee mit Aussicht
Eine gute halbe Stunde vor München klopft der Schlafwagenschaffner und serviert mir Frühstück ans Bett. Der Kaffee ist gut, der Rest – ein Hamburgerbrötchen, Margarine und Vierfruchtmarmelade – nicht der Rede und des Essens wert. Umso mehr freue ich mich über das köstliche Marillenhörnchen, das ich am Vorabend noch am Bahnhof gekauft habe.
Draußen erwacht der Tag und ich genieße meinen Morgenkaffee mit exklusiver Aussicht für die verbleibenden Minuten. Dann ist es Zeit, meine Sachen einzupacken und mich zum Aussteigen fertig zu machen.
Mit leichter Verspätung in München angekommen, begegne ich mir sozusagen selbst. Eine Pendlerin tritt aus einem der morgendlichen Zügen und lugt neidisch und neugierig auf den Bahnsteig gegenüber. Dort stehe ich, eben dem Nachtzug von weit her entstiegen, und reibe mir noch den Schlaf aus den Augen.
Infos kompakt
EuroNight 498 „Lisinski“ verlässt Zagreb um 21:20 Uhr und kommt um 06:20 Uhr in München an. Abfahrt des Gegenzugs EN 499 in München ist um 23:35 Uhr, Ankunft in Zagreb um 8:35 Uhr. Die Züge führen Schlafwagen (ab 69 Euro), Liegewagen (ab 49 Euro) und Sitzwagen (ab 29 Euro). Online-Tickets auf nightjet.com und über die Deutsche Bahn. Übrigens: Nach Kroatien kannst du auch am Tag ohne Umstieg fahren, nämlich mit den Kurswagen der österreichischen Bahn von Frankfurt nach Zagreb.
12 Kommentare
Super schön geschrieben mit vielen guten Tipps und tollen Bildern.Macht Lust aufs Nachreisen. Gerne mehr davon.😊😊
Sehr schöner und informativer Reisebericht. Kriegt man richtig Lust darauf mal wieder in einem Schlafwagen der Bahn zu verreisen.
Sehr schön – allerdings sind 05:00-Grenzkontrollen natürlich nicht gerade angenehm :-(. Dachte immer, der Schlafwagenschaffner behält die Ausweise?
Hallo Benjamin,
ja, das Einsammeln der Pässe wäre wünschenwert, wird aber leider auf vielen Zügen nicht praktiziert. Ich kann mich überhaupt gar nicht daran erinnern, dass das bei einer meiner Nachtzugfahrten schon einmal vorgekommen wäre.
Viele Grüße,
Sebastian
Hallo Benjamin,
Ich kann mich erinnern, dass das früher so war. Ich hatte diesmal den Eindruck, dass bei der Grenzkontrolle in Salzburg der Fokus darauf lag, einen Blick in jedes Abteil zu werfen.
Nach Beitragsautor
Hallo Dagmar
Tolle Bilder, echt guter Bericht. Wie laut war es denn in deinem Schlafwagen? sehr leise, leise, Mittel wie bei einem Gespräch, laut wie im Restaurant, laut wie in der Disco? Danke f deine Antwort.
LG Beni
Hallo Beni, danke dir! Hoffentlich inspiriert er dich, selbst einmal in einen Nachtzug zu steigen!
Es ist dort nicht lauter als in jedem anderen Zug, wenn du also zum Beispiel im Intercity schlafen kannst, brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Zur Sicherheit hab ich immer ein Paar Ohrstöpsel dabei. Wie du siehst, kann man so auch beinahe eine Grenzkontrolle verschlafen!
Nach Beitragsautor
Wunderschön geschrieben. Ich bereue jetzt fast, dass ich für meine Rückreise von Zagreb nächste Woche nicht den Nachtzug gewählt habe. Allerdings muss ich nur nach Österreich und Umsteigen irgendwann gegen 4 in der Früh in Linz ist halt doch keine so komfortable Option
Ich fahre in Dezember von München nach Zagreb. Meine Frage wäre ob ich mein Gepäck zwei Tage vorher abschicken kann. Und wenn ja, wie?.
Danke
Hallo, Zagreb zur Weihnachtszeit muss großartig sein! Und natürlich brauchts da viele Koffer🙂.
Ich selbst habe außerhalb Deutschlands noch kein Gepäck versendet. Darum hab ich ein bisschen rumgefragt, aber in meinem Umfeld gibt es dazu auch keine Erfahrungen.Die DB bietet nur den Versand innerhalb Deutschlands, nach Österreich und in die Schweiz an.
Es bleibt eigentlich nach meiner Kenntnis nur die Möglichkeit, die allseits bekannten Paketdienste dazu anzufragen. Wie die Lieferzeiten und die Zuverlässigkeit sind, vermag ich allerdings nicht zu sagen.
Viel Spaß in Zagreb!
Nach Beitragsautor
Ein sehr schöner und informativer Bericht.
Wir haben uns daraufhin entschieden, diesen Sommer mit dem Nachtzug nach Kroatien in Urlau zu fahren. (zum ersten Mal überhaupt) München-Zagreb.
Kauft man die Tickets am besten so früh wie möglich oder erst nahe am Reisedatum?
Hallo Daniel,
das ist ja großartig, dass ihr mit dem Nachtzug fahren wollt! 🙂
Grundsätzlich ist frühzeitiges Buchen zu empfehlen. Das sichert nicht nur den besten Preis, sondern auch einen Platz. Gerade der Schlafwagen kann in der Saison schnell mal ausgebucht sein.
Bitte beachten: Ab Mitte des Jahres kommt es auf der Strecke zwischen Österreich und Slowenien zu Beeinträchtigungen. Grund dafür sind umfangreiche Bauarbeiten am Karawankentunnel. Bitte checke die Verbindungen und mögliche Umleitungen frühzeitig.
Viele Grüße,
Sebastian