Vier Stunden und 54 Minuten braucht der InterCity von Košice nach Bratislava – spektakuläre Blicke auf die Hohe Tatra inklusive. Wenn du etwas mehr Zeit hast, kannst du die Slowakei auch auf anderen Wegen erfahren. Eine Variante ist die Südroute über Zvolen. An der Grenze zu Ungarn ist zwar alles eine Nummer kleiner, doch auf den zweiten Blick gibt es einiges zu entdecken. Ich habe die Strecke an einem Oktobertag getestet.
Regenstart in Košice
Die Fahrt beginnt mit einem Schönheitsfehler: Bleischwere Wolken hängen über dem Bahnhof von Košice, als ich den Außenbahnsteig am Morgen betrete. Hier wartet schon mein Schnellzug (slowakisch Rýchlik) nach Bratislava.
Er trägt den Namen Gemeran und ist ein Exot. Anders als die meisten Züge in die Hauptstadt nimmt er nicht die klassische Hauptbahn über Žilina, sondern die Südstrecke nahe der ungarischen Grenze. Wegen der längeren Fahrtzeit ist diese für den Fernverkehr nur von geringer Bedeutung. Inklusive Nachtzug Pol’ana sind 2017 noch viereinhalb Zugpaare auf der Gesamtroute Košice–Bratislava unterwegs.
Bis Zvolen ist die Strecke nicht elektrifiziert. Vorne röhrt daher eine ex-tschechoslowakische Diesellok. Wegen ihrer prägnanten Frontpartie ist das Modell auch als Taucherbrille bekannt. Selten hat dieser Spitzname besser gepasst als heute. Ich mache es mir in einem Abteil im ersten Wagen bequem. Während sich die Schleusen des Himmels öffnen, setzt sich der Zug in Bewegung.
Im Land der 1000 Höhlen
Bald nach der Abfahrt erreichen wir den Nationalpark Slowakischer Karst. Der Gebirgszug ist Teil des Erzgebirges und bekannt für seine über eintausend Höhlen. Im dichten Regen ist die spektakuläre Landschaft leider nur zu erahnen. Außerdem: Die Wagen sind klimatisiert. Was dem regelmäßigen Pendler ein Segen ist, nimmt mir die Möglichkeit, gelegentlich Kopf und Kamera durch ein offenes Fenster zu halten.
Somit habe ich genügend Zeit, mich der slowakischen Variante von „Ihr Reiseplan“ zu widmen. Wie vieles bei der ZSSK ist auch dieser liebevoll gestaltet. Neben Fahrplänen fehlen auch allerlei Informationen über die Haltebahnhöfe nicht. Was mir besonders gefällt sind die kleinen Symbole, die auf den Verkauf von Blumen und Bahnsouvenirs hinweisen.
Ein Blick zurück
An jeder noch so kleinen Haltestelle steigt mindestens eine Handvoll Leute ein, so dass der Zug mittlerweile gut ausgelastet ist. Bei Jesenské hält es mich nicht mehr auf meinem Platz – ich breche zu einem Rundgang auf. Nach fünf Abteilwagen verschiedenen Alters erreiche schließlich den Zugschluss. Das Fenster der rückwärtigen Tür gibt den ersehnten Blick auf die Strecke frei.
Hier verbringe ich einige Zeit und schaue in die Ferne. Den Karst haben wir hinter uns gelassen und fahren nun auf kurvenreicher Strecke durch eine liebliche Landschaft. Ein Eisenbahn-Kleinod! Auch Petrus zeigt sich einsichtig: Mit den Bergen hat sich der Regen vorerst verzogen.
Zwischen Slowakei und Ungarn
Wir erreichen Fil’akovo. Das stattliche Gleisvorfeld zeugt von der Bedeutung, die der Bahnhof einst gehabt haben muss. Bekannteste Sehenswürdigkeit von Fil’akovo ist die Burgruine aus dem 12. Jahrhundert. Durch die Irrungen und Wirrungen der Weltkriege wechselte die Stadt mehrmals zwischen Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei hin und her.
Als Bahnreisender fällt mir sofort das zweisprachige Stationsschild Fil’akovo/Fülek ins Auge. Hier, im äußersten Süden der Slowakei, hat die Mehrheit der Bevölkerung ungarische Wurzeln. Das Verhältnis zwischen Slowaken und Ungarn ist seit jeher angespannt. Darüber hinwegtäuschen kann auch nicht die zweifelhafte Einigkeit, zu der es jüngst in der Flüchtlingsfrage gekommen ist.
Eisenbahnknoten Zvolen
Beim nächsten Halt in Lučenec wird der Zug richtig voll. Dennoch traut sich nach wie vor niemand in mein Abteil. Die Strecke macht nun einen Bogen nach Nordwesten in Richtung Zentralslowakei. Landschaftlich reizvoll geht es entlang dicht bewaldeter Hänge, die längst ihr buntes Herbstkleid tragen.
Pünktlich gegen ein Uhr erreichen wir Zvolen, wo mein Reiseplan einen zweistündigen Aufenthalt vorsieht. Genügend Zeit für einen Gang in die Stadt und ein Mittagessen. Zunächst aber bin ich gefesselt vom betriebliche Geschehen am Bahnhof: Pausenlos werden Lokomotiven gewechselt, Wagen ab- und wieder angekoppelt. Auch als Laie stelle ich fest: Hier ist noch richtig Eisenbahn!
Schnelle Runde durch die Stadt
Zvolen (deutsch Altsohl) gehört zu den ältesten Städten der Slowakei. Im Mittelalter kreuzten sich hier bedeutende Handelswege. Auch heute noch ist Zvolen durch seine zentrale Lage ein wichtiger Verkehrknotenpunkt. Kulturell hat ihr das nahe Banská Bystrica (Neusohl) jedoch mittlerweile den Rang abeglaufen.
Durch das nicht mehr ganz moderne Empfangsgebäude des Bahnhofs und vorbei an einem skurrilen Panzerzug – eine der vielen Gedenkstätten an den Slowakischen Nationalaufstand von 1944, abgekürzt SNP – erreiche ich den historischen Stadtkern.
Dieser ist schnell erzählt: Neben zwei alten Kirchen gibt es einen Marktplatz, ein weiteres SNP-Denkmal, sowie eine absurd breite Fußgängerstraße. Über all dem thront das durchaus imposante Schloss. Die Besichtigung hebe ich mir allerdings für einen anderes Mal auf und kehre bald zum Bahnhof zurück.
Erlebnis Bahnhofskneipe
Dort meldet sich langsam der Hunger. Schon bei der Ankunft fiel mir die Bahnhofsgaststätte ins Auge – eines dieser traditionellen Lokale, wie es sie in Tschechien und der Slowakei noch an vielen Stationen gibt. Neugierig gemacht auf einen Besuch haben mich die liebevollen Beschreibungen von Tom in seinem Blog. Ort, Zeit und Gelegenheit könnten nicht besser sein.
Zweimal gehe ich noch vor der Tür auf und ab. Doch dann fasse ich mir ein Herz und trete ein in eine sonderliche Welt. Sofort wird mir klar: Das wichtigste Gericht auf der Karte muss Bier mit Schnaps sein. Dennoch, es wird auch gegessen. Dass dies von den örtlichen Rangierern geschieht, schafft ein gewisses Vertrauen.
Untermalt von einer Mischung aus Slovak-Pop und Schnitzelklopfen beschäftige ich mich mit den wortreichen Beschreibungen auf der Speisekarte. Ich verstehe genau nichts.
Zögerlich schreite ich zur Theke. Dass die Bestellung hier aufzugeben ist, konnte ich durch Beobachtung der anderen Gäste herausfinden. Die Bedienung müht sich redlich, mir das Tagesmenü zu erläutern. Unsere gemeinsame Sprachbasis ist allerdings schnell erschöpft. Als auch der eilig zu Rate gezogene Google-Übersetzer scheitert, bestelle ich blind.
Auf meinem Teller landet schließlich ein Stück Fisch mit lauwarmen Kartoffelbrei. Dazu – natürlich – ein gezapftes Bier. Die Qualität der Speisen ist der Umgebung angemessen: Schnörkellos und auf das Wesentliche reduziert. Nach dem Essen bleibt noch Zeit für einen Kaffee. Ich beobachte die Trinker um mich herum, die mit Ruhe und Routine ihre Biere und Schnäpse kippen.
Auf zur zweiten Etappe
Nur widerwillig reiße ich mich los, doch mein nächster Zug wartet nicht. Angenehm gesättigt (und minimal angetüdelt) freue ich mich auf den zweiten Teil der Fahrt. Das Empfangsgebäude ist mittlerweile gut gefüllt. Gespannte Blicke auf die Anzeigetafel: Wie üblich, wird das Gleis erst kurz vor Abfahrt bekannt gegeben.
Endlich blinkt der Schnellzug nach Bratislava auf. Sogleich setzt sich die Menge zum Hausbahnsteig in Bewegung. Alles drängt sich unter dem überdachten Teil – es hat wieder zu regnen begonnen. Als der Zug aus Banská Bystrica auftaucht, stehe ich längst am Bahnsteigende.
Acht rot-weiße Waggons lasse ich an mir vorbeirauschen, ehe ich in den neunten und letzten einsteige. Volltreffer: Hier finde ich nicht nur ein leeres Abteil, sondern auch das ersehnte Fenster zum Öffnen.
Fenster zum Herbst
Die nächsten Stunden hüpfe ich vergnügt zwischen Gang- und Abteilfenster hin und her, immer auf der Suche nach dem schönsten Motiv. Davon gibt es reichlich: Neben der tollen Herbstlandschaft beeindruckt vor allem die gewaltige Ruine der Burg Šášov. Hoch thront sie über dem Fluss Hron, dem wir viele Kilometer folgen.
Unterwegs sind wir auf der Nordseite der Schemnitzer Berge (Štiavnické vrchy), ein Höhenzug vulkanischen Ursprungs. Als die Vulkane erloschen, hinterließen sie einen fruchtbaren Boden. Dieser wird heute von dichten Wäldern bewachsen – ein wichtiger Rückzugsort für Wildkatzen und Luchse.
Abend in der Donauebene
Nach dem Städtchen Levice verlassen wir den Hron und tauchen in die weite Donauebene ein. Langsam wird es Abend. Ich schalte das Licht im Abteil aus und genieße das Dahingleiten durch die einsetzende Dunkelheit.
In Šaľa schrecke ich kurz auf. Ein älterer Herr kommt in das Abteil und setzt sich zu mir. Neben einer abgewetzten Aktentasche aus Leder trägt er eine stattliche Alkoholfahne bei sich. Nur Sekunden später fällt er in einen tiefen Schlaf. Ein wenig steckt er mich an mit seiner Müdigkeit: Den Rest der Fahrt verbringe ich dämmernd.
Wir erreichen Bratislava schließlich mit einer Verspätung von 45 Minuten. Noch etwas schläfrig, aber wohlig zufrieden trete ich ein in das Gewusel des Hauptbahnhofs. Was bleibt ist die Erkenntnis: Auch fern der Tatra kann man zwischen Košice und Bratislava viel erleben.
Züge
Täglich vier durchgängige Schnellzüge ab Košice (Abfahrt 05:23, 09:23, 13:23 und 15:23 Uhr) und drei ab Bratislava (Abfahrt 08:01, 12:01 und 16:01 Uhr). Zwischen Zvolen und Bratislava Zweistundentakt. Zusätzlich verkehrt Nachtzug R 800/801 „Pol’ana“.
Tickets
Die einfache Fahrt kostet 18,64 EUR (2. Klasse) bzw. 23,30 EUR (1. Klasse). Keine Zugbindung oder Reservierungspflicht. Online-Tickets zum Ausdrucken gibt es auf der Website der slowakischen Bahn ZSSK.